Mittwoch, 23. November 2016

Käse 4.0: Wissenschaftler forschen für mehr Schnittkäse-Vielfalt

Nachhaltige Produktion und Abwechslung auf der Käseplatte verspricht ein neues Verfahren der Universität Hohenheim. / Ein Werkstattbericht

Käse mit Ananas- oder Feigen-Note: Ein neues Verfahren ermöglicht es Schnittkäse-Produzenten, ungewöhnliche Geschmacksrichtungen schnell und einfach auszuprobieren. Und dabei können sie auch noch, bei gleicher Qualität, schneller und nachhaltiger produzieren. Wissenschaftler der Universität Hohenheim erarbeiten gerade die Grundlagen für die Technologie, so dass Hersteller sie vielleicht in einigen Jahren in der Praxis einsetzen können. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt das Projekt mit knapp 374.000 Euro und macht es zu einem Schwergewicht der Forschung an der Universität Hohenheim.

Europäer lieben Käse: Mehr als 500 Käsesorten stehen zur Auswahl. Neben den bekannten Sorten wie Gouda oder Emmentaler hat Schnittkäse einen Marktanteil von rund 30 Prozent. Und dieser Markt ist heiß umkämpft. Um im Wettbewerb zu bestehen, müssen sich Schnittkäsehersteller mit neuen Produkten oder geschmacklichen Varianten von der Konkurrenz abheben.

Beidem trägt ein Forschungsprojekt an der Universität Hohenheim Rechnung: „Wir haben für zwei Prozessschritte der traditionellen Käseproduktion einen völlig neuen Ansatz: Wir vereinfachen das langwierige Ausformen und Pressen der Käse und schaffen die Möglichkeit, neue aromagebende Mikroorganismen zu einem späteren Zeitpunkt zuzugeben“, erläutert der Milchwissenschaftler Prof. Dr. Jörg Hinrichs.

Extruder spart Zeit, Platz und Kosten
60 Prozent der Fläche in einer Käseproduktion, Reifungsräume nicht mitgerechnet, benötigt man zum Formen und Pressen der Käse: „Nach dem Abtrennen der Molke müssen die Bruchstücke bis zu mehrere Stunden in der Form gepresst werden und wieder zusammenwachsen. Diese Formen müssen zudem aufwändig gereinigt werden“, erklärt Prof. Dr. Hinrichs. „Es sind also zahlreiche Formen nötig, und das Formenmanagement verursacht hohe Kosten.“

Bei dem neuen Ansatz setzen die Forscher für diesen aufwändigen Vorgang einen sogenannten Extruder ein. In diesem wird der Käsebruch unter Druck und Temperatur zu einer homogenen Käsemasse fusioniert. „Wenn man diese nun kurz in eine vorgegebene Schablone presst, erhält man bereits den Rohkäse mit seiner endgültigen Form – rund, eckig, oval oder auch herzförmig. Das braucht weniger Zeit und Platz – und das ohne Qualitätsverlust“, betont Prof. Dr. Hinrichs.

Neue Käseprodukte durch individuelles Beimpfen
Für den guten Geschmack sorgen bei der Käseherstellung die Mikroorganismen, die üblicherweise am Anfang zugegeben und mit der Milch vermischt werden. Das wollen die Forscher ändern: „Wenn man die aromabildenden Mikroorganismen erst nach dem Ausformen injiziert, könnte man jeden Laib zu einem individuellen Aroma ausreifen lassen“, erläutert Prof. Dr. Hinrichs die Grundidee seiner neuen Plattform-Technologie.

Auf diese Weise könne man viele verschiedene Mikroorganismen testen und so schnell und einfach neue, individuelle Geschmacksrichtungen entwickeln. Das unterstützt die Entwicklung neuer Käseprodukte.

Simulation für optimale Injektion der Mikroorganismen
Damit jedoch nach sechs Wochen am Ende der Reifung die Aromastoffe gleichmäßig im Käse verteilt sind, müssen die Hersteller wissen, wo sie bei der Injektion der Starterkulturen in den Rohkäse einstechen sollen. Hier kommt Prof. Dr. Philipp Kügler ins Spiel.

Der Hohenheimer Mathematiker beschäftigt sich auch im Rahmen dieses Projekts mit sogenannten Differentialgleichungen. Mit deren Hilfe beschreibt Prof. Dr. Kügler, wie sich injizierte Mikroorganismen im Rohkäse vermehren, wie schnell sich die Inhaltsstoffe im Käse ausbreiten und wie sie am Ende der Reifezeit verteilt sind.

Daraus entsteht ein mathematisches Modell, mit dem er für eine vorgegebene Käseform und -größe den Reifungsprozess am Computer simulieren kann. „Unter Verwendung dieser rechnerbasierten Simulation können wir in einem zweiten Schritt dann jene Injektionsstellen berechnen, die zur gewünschten Verteilung der Aromastoffe am Ende der Reifung führen“, macht Prof. Dr. Kügler deutlich.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Hinrichs führt aktuell Experimente durch, um das Rechenmodell anhand der Labordaten zu trainieren. „Simulationsmethoden sind etwa in der Luftfahrtindustrie oder in der Herzforschung gang und gäbe“, verrät Prof. Dr. Kügler. „Wir hoffen, damit auch einen wesentlichen Beitrag im Bereich der Lebensmittelindustrie und zur technischen Umsetzung der Schnittkäse-Plattform leisten zu können.“

Hintergrund zum Projekt
Das Projekt „Technologie-Plattform mit Injektion von Starterkulturen zur Produktion von Schnittkäse“ startete am 31.7.2015. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert es bis 31.12.2017 über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von Guericke" e.V. (AiF) und den Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) mit 373.930 Euro.

Die Koordinierung obliegt dem FEI. Industriepartner der Fachgebiete Milchwissenschaft und -technologie sowie Mathematik, insbesondere Modellierung komplexer biologischer Systeme an der Universität Hohenheim, ist der Milchindustrie-Verband e.V. (MIV).

Mehr Infos: www.fei-bonn.de/download/aif-18752-n.projekt

Hintergrund: Schwergewichte der Forschung

31,2 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2015 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimental- bzw. 125.000 Euro bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.

Text: Elsner

Universität Hohenheim
Pressestelle

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